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Die Deutsche Marine im Kontext der Bündnisverteidigung

  • Autorenbild: Kay-Achim Schönbach
    Kay-Achim Schönbach
  • 11. März 2024
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 17. Okt. 2024


Derzeit ist der Einsatz der Fregatte Hessen im Roten Meer in aller Munde - jedoch dominiert auch in der Marine die Frage nach möglichen Herausforderungen und Aufgaben, welche sich für die Bundeswehr im Falle einer hypothetischen Bündnisverteidigung ergeben könnten. Kay-Achim Schönbach, Vizeadmiral und Inspekteur der Marine a.D., nimmt in diesem Beitrag Stellung.


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Fregatte Hessen bei der Seeversorgung mit dem US-Flugzeugträger Eisenhower im Jahr 2009

Bild frei verfügbar über Wikimedia Commons.



Der lange und intensiv geführte Kampf gegen den internationalen Terrorismus und seine Begleiterscheinungen gerät durch den Rückfall der Russischen Föderation in einen vergangen geglaubten Expansionismus, eines auf verschiedenen Schauplätzen kriegerisch agierenden Irans (mit seinen Proxys) und eine immer hegemonialer auftretende Volksrepublik China zunehmend in den Hintergrund.

Die NATO und damit auch die deutschen Streitkräfte müssen sich, anders als im Zuge von Überwachungsaufgaben im Rahmen der Vereinten Nationen oder anderer supranationaler Organisationen, wieder mehr auf das mehrdimensionale Gefecht gegen gleichrangige Gegner vorbereiten. Dazu gehört auch die Notwendigkeit einer intensiveren Präsenz der Einheiten der Teilstreitkräfte des Bündnisses in den zu erwartenden Operationsgebieten des nordatlantischen Bündnisses und darüber hinaus. Eine selbstauferlegte Begrenzung der Alliierten auf die Länder der Mitgliedsstaaten, ihre Lufträume und den Nordatlantik sowie die damit zusammenhängenden Randmeere greift angesichts der neuen Bedrohungen und der Fähigkeiten der potenziellen Gegner zu kurz.


In einer Analyse der Bedrohungslage und der daraus abzuleitenden Fähigkeitsforderungen für die deutschen Seestreitkräfte ist auch hier eine territoriale Begrenzung auf die klassischen Gebiete der Nordsee, Ostsee und Ostseezugänge sowie des Nordatlantiks im Rahmen der Bündnisverteidigung keine realistische Option. Die Deutsche Marine, wenn auch aktuell klein in der Zahl ihrer Einheiten, muss sich an den Operationserfordernissen der großen Marinen des Bündnisses orientieren und darf nicht zu einer Randmeermarine mutieren.


In der Vorstellung einer klassischen Auseinandersetzung mit einem vorrangig Landkrieg-orientierten Gegner, wie dies bei der Russischen Föderation der Fall ist, kann der Auftrag der Deutschen Marine zu Beginn einer solchen Kampagne nur in Sicherungsaufgaben in der Ostsee, Escortdiensten auf dem Nordatlantik und im Kampf gegen Uboote liegen. Im weiteren Verlauf werden Einheiten der Marine in Kampfgruppen der Alliierten eingebunden sein, die nach einer erfolgreichen Verdrängung des Gegners aus den Operationsgebieten des Bündnisses Land- und Luftoperationen eigener Kräfte an Land absichern helfen.

Sollte sich das regionale Konkurrenzieren Chinas und der USA im Westpazifik zu einem größeren Konflikt entwickeln, werden deutsche Seestreitkräfte auch hier gefordert sein. Die Bekundungen der vergangenen Jahre gegenüber den Wertepartnern in Süd- und Südostasien, sich an deren Sicherheit und der Wahrung der territorialen Integrität ihrer Länder zu beteiligen, wird den Einsatz der größeren Einheiten der Deutschen Marine notwendig machen.

Ein eigenständiges Operieren ist dabei auszuschließen. Diese Teilnahme und Teilhabe können nur im Verbund mit den großen Marinen der NATO-Nationen geschehen. Die Integration der Kampf- und Unterstützungsschiffe in die Kampfverbände der USA, Großbritanniens und Frankreichs kann für Deutschland die einzige Option sein, seinen Verpflichtungen nachzukommen.


Die hier nur skizzenhaft und unvollständig beschriebenen Einsatzoptionen fordern von der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Marine erhebliche Anstrengungen. Und dies gilt nicht nur für die Ausstattung der Streitkräfte mit Material und Personal, sondern auch für eine Intensivierung der Übungstätigkeit im nationalen, vor allem aber im internationalen Rahmen.


Auf kurze Sicht müssten erhebliche Summen des zur Verfügung stehenden Haushalts für die Vollausstattung der maritimen Einheiten genutzt werden. Munition, die aktuell nur marginal zur Verfügung steht, muss schnellstmöglichst und in großen Mengengerüsten beschafft werden, um eine Mindestdurchhaltefähigkeit im Bereich Kampf auf See sicherzustellen.

Angesichts einer völlig ungeeigneten Beschaffungsorganisation, die zudem selbst nach Indienststellung keine nachhaltige Bewirtschaftung eingeführten Materials sicherzustellen in der Lage ist, empfiehlt sich auf absehbare Zeit, Rüstungsgüter aus den USA zu erwerben und entsprechende Service- und Versorgungsverträge abzuschließen.

Die Deutsche Marine muss im Schulterschluss mit den alliierten Anrainern der Ostsee eine Konzeption zur Durchsetzung von Area Denial entwickeln, die dieses Randmeer aus der Inneren Linie nimmt. Auf Hoher See müssen die deutschen großen Einheiten von Beginn an in die Vorbereitungsphasen und Einsatzzirkel der großen Kampfverbände der Alliierten integriert werden, um die erforderliche Combat Readiness zu erwerben.


Es wird dennoch Jahre dauern, bis die deutschen Streitkräfte in ihrer Gänze das erforderliche Niveau erreicht haben. Hier bedarf es wirksamer und durchsetzungsstarker politischer Führung, die die bürokratischen Hürden zur Stärkung unserer Armee überwinden hilft. Ob dies gelingt, werden wir abwarten müssen. Das 100 Milliarden betragende Sondervermögen und das Bekenntnis, die zwei Prozentmarke für die Verteidigung ausgeben zu wollen, entsprangen nicht politischer Vernunft oder einem tieferen Verständnis nationaler Sicherheitsvorsorge. Einzig die Bedrohungswahrnehmung, die sich aus einem möglicherweise übergreifenden Ukrainekrieg speiste, führte dazu, nun endlich die eingegangenen Verpflichtungen aus dem NATO-Gipfel in Wales zu erfüllen und den nicht mehr zu kaschierenden Zustand der Bundeswehr zu verbessern.




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Zum Autor:


Kay-Achim Schönbach

Vizeadmiral a.D.


Kay-Achim Schönbach (Jg. 1965) studierte Pädagogik an der Universität der Bundeswehr in Hamburg und diente lange Jahre im BMVg sowie als Offizier auf zwei Fregatten (u.a. mit Einsatzerfahrung am Horn von Afrika), bis er von 2021 bis 2022 als Inspekteur der Marine ranghöchster Soldat der deutschen Seestreitkräfte war. Er ist versierter Experte für maritime Fragen.

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