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Innere Führung der Bundeswehr

  • Autorenbild: Dr. Thomas Wanninger
    Dr. Thomas Wanninger
  • 29. Jan. 2024
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 30. Jan. 2024


Dr. Thomas Wanninger, Oberstleutnant d.R., dessen Buch »Kritik der Inneren Führung« (erschienen im Carola Hartmann Miles-Verlag; hier erhältlich) zu den am intensivsten besprochenen Werken der Militärwissenschaft im Jahr 2023 zählte, fasst für die Lützow-Gesellschaft die Maximen der Inneren Führung kompakt zusammen.


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Krieger mit Speer

Bild lizensiert über iStock.



»So wie ein Speer auf die Spitze, nicht aber auf den Schaft hin konstruiert sein muss, um wirksam im Ziel sein zu können, der Schaft aber so sein muss, dass er der Spitze Wucht und Richtung gibt, so darf die Innere Führung nicht aus dem Auge verlieren, dass eine Armee auf ihre Kämpfer hin ›konstruiert‹ werden muss.« - General Johann Adolf Graf von Kielmansegg (1971)

Die Innere Führung unterstützt die Kriegstüchtigkeit der Bundeswehr im demokratischen Rahmen. Sie ist damit Teil des Speers, indem sie die Belange der Gesellschaft und der Person des Soldaten so zusammenführt, dass die militärische Schlagkraft unterstützt, gewährleistet und verbessert wird. Die Fähigkeit zur Zusammenfügung erhält die Innere Führung immer durch die Frage »Wie«. Wie können Situation, Auftrag und die Individualität der Soldatinnen und Soldaten zugleich berücksichtigt werden? Die Beantwortung erfordert von Vorgesetzten Fachwissen, geistige Beweglichkeit, Haltung, Urteilskraft, Zuneigung zu den anvertrauten Soldatinnen und Soldaten und das Handeln nach persönlichkeitsprägenden Werten. Die loyale, kritische und gewissenhafte Entscheidung ist das Mittel der Wahl, was eine souveräne Fehlerkultur einschließt und übertriebenes Absicherungsdenken vermeidet. Daraus entwickelt sich Vertrauen in Vorgesetzte, die somit Teil der soldatischen Kameradschaft bleiben. Innere Führung ist Teil der Kampfkraft und verleiht die nötige Wucht, indem sich zur Tat der Wille, zum Gehorsam die Einsicht und zur Härte die nötige Sinnhaftigkeit hinzufügt.

 


Gesellschaft: Das Wesen der Streitkräfte, ihre innere Haltung und die Einsatzfähigkeit richten sich an den gesellschaftlichen Gegebenheiten aus. Das Wesen der demokratischen Streitkräfte lebt von Voraussetzungen, die weder der Staat noch die Streitkräfte selbst garantieren können. Entscheidend ist die Grundeinstellung, in der wir alle miteinander leben. Die Bundeswehr verteidigt die Demokratie.

Wehrhaftigkeit als Leitbild der Gesellschaft muss erklärt und begründet werden. Gerade in einer gewohnten Demokratie, wo die Selbstverständlichkeit der freien Wahl herrscht, ist diese Begründung wichtig.

Die Innere Führung der Bundeswehr wendet sich an die innere Einstellung der Soldatin/des Soldaten und zugleich an den inneren Kern unseres Staatswesens, in dessen Dienst für Recht und Freiheit alle Angehörigen der Streitkräfte stehen. Die geistige Haltung, in der wir zusammenleben wollen, ist das Entscheidende.

 

Person des Soldaten: Die Väter der Inneren Führung haben Zeitgemäßheit immer als Systemwechsel des Staates verstanden: Vom Totalitären zum Freiheitlichen, vom Parieren zum Partizipieren. Aufgabe der Inneren Führung ist es, das zeitlos Demokratische – jeden Tag aufs Neue – umzusetzen. Der Blick auf die einzelne Soldatin/den einzelnen Soldaten entscheidet, wie diese Zeitgemäßheit umgesetzt wird. Dazu müssen die Vorgesetzten ihre Soldaten gut kennen.

Wer jedoch zwanghaft auf der Höhe der Zeit sein möchte, ist ihr immer hinterher, immer reaktiv und nicht autonom. Diese defensive Haltung schadet der Einsatzbereitschaft der Streitkräfte. Demokratische Streitkräfte gewinnen ihre Kraft und ihren Einfluss aus einer selbstbewussten Haltung.

Die Feinde der Inneren Führung sind vor allem Unmäßigkeit, Geltungsdrang, Selbstmitleid, Jähzorn, geistige Lahmheit, Eitelkeit, falsche Selbsteinschätzung und mangelndes Vertrauen. Sie wirken sich negativ auf die Resilienz des Einzelnen und der Gruppe aus. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, diesen negativen Einflüssen entgegenzuwirken, um die Integrität der Inneren Führung in der Bundeswehr zu bewahren und die individuelle Stärke zu fördern.

 

Vorgesetzte: Es besteht ein Spannungsfeld zwischen den Interessen der Gemeinschaft und der Einzelperson. Aus den Gemeinschaftsinteressen resultiert der Auftrag der Soldatin/des Soldaten. Klar ist, dass jeder Einzelne diesem Auftrag verpflichtet ist, trotzdem bleibt er ein Einzelwesen mit spezifischen Interessen und Fähigkeiten. Die Kunst der Vorgesetzten besteht darin, hier einen passenden Ausgleich zu finden. Ihre Diensterfahrung und die Erkenntnis ihres eigenen Wesens kann sie befähigen, beispielgebend für die Soldatinnen und Soldaten zu wirken.

Beispielgebend können Vorgesetzte nur wirken, wenn sie sich selbst als stimmige Persönlichkeit verstehen und von den Mitmenschen glaubwürdig so verstanden werden. Das Klima, in dem sich Dienst und Freizeit abspielen, ist von ausschlaggebender Bedeutung.


Werte: Positive Werte entstehen in einem Prozess und im Kontrast. Wer den Zwang nicht kennt, weiß nicht, was die Freiheit bedeutet. Genauso ist es bei der Gerechtigkeit. Eine innere Idee von Gerechtigkeit kann nur entstehen, wenn auch Ungerechtigkeiten erlebt wurden. Dem vorgebildeten Menschen reicht oft schon die gedankliche Vorstellung des Gegenteils, um den Wert von Gerechtigkeit und Freiheit zu erkennen.

Angebliche Werte, die nur geachtet werden, weil sie andere für wertvoll halten, erweisen sich im Moment der Prüfung als nicht standhaft.

Um einen demokratischen Wert bilden zu können, braucht es Erfahrung mit ihm und mit dem Gegenteil. Seit jeher wendet sich die Innere Führung der Bundeswehr gegen Härten als Selbstzweck oder gar Schikane. Dieser wechselseitige Prozess aus Wert und Unwert ist zur Herausbildung eines eigenen Wertebegriffs notwendig. Er unterscheidet tradierte oder unüberlegt angenommene Werte von echten Werten.

Die Demokratie ist immer auch eine Gefahr für sich selbst. Wer nur die guten Zeiten und die positiven Seiten kennt, wird blind für ihre Bedrohung. Die Pflicht eines Soldaten ist es, diese Bedrohung zu kennen und ihr mit Argument und Tat entgegenzutreten.

 

Soldatische Kameradschaft: Demokratie wird aus Verantwortung für sich und die anderen verteidigt. Nur wer sich selbst im anderen erkennt, kann Kameradschaft und Demokratie leben.

Das Leben in der Kameradschaft zeigt die Verantwortung und Verkettung der soldatischen Gemeinschaft auf. Respekt und Toleranz betonen eher die Grenzen, weil sie das Anderssein und nicht das Gleichsein hervorheben. Gerade in Extremsituationen, wie es das Soldatenleben im Einsatz mit sich bringen kann, hat Toleranz und Anderssein seine Grenzen.

Soldatische Kameradschaft macht Gemeinschaft zwischen der eigenen Person und dem Gegenüber zur Verpflichtung. Fürsorge für sich und andere ist eine Selbstverständlichkeit.

 

Wucht und Wirkung: Wirkung kann Innere Führung immer dann entfalten, wenn sie nicht nur den Verstand und Regeln anspricht, sondern wenn sie das Innerste der Soldatin/des Soldaten und der Gemeinschaft trifft. Es geht in der wehrhaften Demokratie um das uns alle Verbindende.

Wirkung kann Innere Führung entfalten, wenn sie argumentierend begründet, Gefühl und Verstand in Einklang bringt und ritualisiert ist, sodass sie zur inneren Haltung wird. Das Geschenk der Demokratie muss im Herzen gewollt werden.

Wirkung kann Innere Führung entfalten, wenn sich jeder Angehörige der Streitkräfte als Akteur sieht und gesehen wird.

Wirkung kann Innere Führung entfalten, wenn sie auf gegenseitigem Vertrauen basiert. Die militärischen Führer haben Verantwortung, sie brauchen Entscheidungsbefugnis und sie stehen für ihr Handeln ein. Ihre Untergebenen und die Gesellschaft haben ihnen dieses Vertrauen entgegenbringen. Ihre Urteile müssen sich an Regeln und Gesetze halten, die nicht als Reglementierung verstanden werden und bewusst Freiräume eröffnen.



Die Innere Führung ist das Herz der Bundeswehr und sie stärkt die Kampfkraft durch Einsicht in die Sinnhaftigkeit soldatischen Tuns. Dies bringt den Willen zur Verteidigung hervor und unterstützt das erfolgreiche Führen mit Auftrag. Innere Führung verbindet gesellschaftliche und militärische Anforderungen mit Wertschätzung für jede einzelne Soldatin und jeden einzelnen Soldaten. Sie alle bringen in ihren Beruf nicht nur das Mögliche und Machbare ein, sondern das Ewige und Einzige, ihr Leben.

 


MAXIMEN DER INNEREN FÜHRUNG: 


Wir sind und unterstützen die Speerspitze der wehrhaften Demokratie. 

Wir stehen unnachgiebig für unsere zeitlosen Werte ein und verleihen ihnen Wucht durch unser Handeln. 

Wir verbinden in unserem Handeln Tat und Wille, Gehorsam und Einsicht, Härte und Sinnhaftigkeit. 

Wir bejahen den anstrengenden Prozess der Wertebildung.

Wir stehen zu unseren Kameraden und bilden eine Einheit.

Wir sehen das in uns gesetzte Vertrauen als Verpflichtung.

Wir dienen stolz unserer Heimat, unserem Vaterland und dem Bündnis.




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Zum Autor:


Dr. Thomas Wanninger

Oberstleutnant der Reserve


Dr. phil. Thomas Wanninger (Jg. 1971) ist Oberstleutnant d.R. und kommt aus Regensburg. Bei der Bundeswehr diente er unter anderem bei der Gebirgsjägertruppe, als Kompaniechef, am Zentrum Innere Führung sowie als Referent in Höheren Kommandobehörden. 2023 ist sein Buch »Kritik der Inneren Führung« im Carola Hartmann Miles-Verlag erschienen.



Weitere Publikationen:


Bildung und Gemeinsinn. Ein Beitrag zur Pädagogik der Urteilskraft aus der Philosophie des »Sensus communis«. Bayreuth Univ. Diss 1999

Beiträge zur Philosophie Kants und Augustinus. Weltenburg 2000-2003

Mögliche Grundlegung einer erneuerten Inneren Führung für die Bundeswehr. Jahrbuch Innere Führung 2021/22

Kritik der Inneren Führung. Eine Konzeption der Wehrhaftigkeit in der Demokratie. Berlin 2023

Suum cuique. Ein Plädoyer für Gerechtigkeit und Würde. IF - Zeitschrift für Innere Führung. Koblenz 3/2023 (zusammen mit Florian Schreiner NATO HQ Brüssel)

Leitlinien der Inneren Führung. Jahrbuch Innere Führung 2023/24

Critique of Inner Leadership. übers. von Juliane Ross. Berlin 2024

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